Fotoindustrie 2030 und die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie


„Seit der politisch vorangetriebenen Globalisierung in den 1980er Jahren wächst – entgegen allen Versprechungen der Anhänger jener ökonomischen Politik – die Armut. In der westlichen Welt wird die Mittelschicht langsam aufgelöst. .. Man geht sicherlich nicht völlig fehl, wenn man pauschal 1/4 der bisherigen Mittelschichtangehörigen als Aufsteiger und 3/4 als Absteiger eingruppiert. Oder, wie es ein Wirtschaftskritiker süffisant zusammenfasste: Es gibt immer mehr Multimilliardäre á la Bezos auf der einen Seite und seine fast als leibeigene abhängigen Beschäftigten bei den Amazons der globalisierten Welt auf der anderen Seite. – Dass ich ein besonderes Augenmerk auf die Mittelschichten lege, liegt darin begründet, dass sie bis heute die Mehrzahl der technisch affinen und künstlerisch interessierten Fotografen stellten. Die Unterschichten fanden eher selten Zugang zur aktiven Fotografie, und die Oberschichten lassen sich meist fotografieren.“

Diese Sätze sind aus der Analyse von Dr. Schuhmacher über die „Risiken der Fotoindustrie – Langzeitprognose zur klassischen Fotografie mit dedizierten Kameras bis in das Jahr 2030“.

Man kann froh sein, daß es diesen analytischen Kopf gibt, der uns Blicke und Zusammenhänge in der Fotografie zeigt.

Nicht von ungefähr steht am Anfang seiner Analyse die soziale Frage: die Verteuerung des Alltags und der Abbau sozialer Leistungen bei den kleinen Leuten, während die Oberschicht sich immer mehr erlaubt.

Aus meiner Sicht ist dies ja in Deutschland stärker als in allen anderen Ländern in Kerneuropa der Fall, weil sich hier nur die Reichen zu Wort melden und ihnen auch alle relevanten Medien gehören bzw. diese von ihren Interessenvertretern bei den Regierenden kontrolliert werden. Hinzu kommt, daß es in Deutschland keine Vertretung der Mittelschicht gibt und die Unterschicht durch die SPD verraten wurde.

Schuhmacher weist darauf hin, man in den USA nur einen Gehaltsscheck von der Armut entfernt ist. Da ist man in Deutschland schon weiter trotz Arbeit (außer im Beamtentum). Hinzu kommt, daß in Deutschland die Politik für die Rente ab 69 kämpft und eine asoziale Grundsicherung um 800 Euro brutto anbietet bei eigenen Bezügen von mindestens 10.000 Euro als Abgeordneter im Parlament, während man in allen Ländern um uns herum als Staatsziel die gute Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Rente für jeden ab ca. 1200 Euro lebt.

Deutschland entpuppt sich als das asozialste Land in Kerneuropa, wenn es um die eigenen Menschen geht, die gearbeitet haben oder arbeiten (mit Ausnahme der Beamten).

Aber obwohl es in den Ländern um uns herum besser ist, verändert sich die Fotoindustrie global insgesamt sehr. Ein Hinweis ist das Schrumpfen der Photokina, die in Würde zu sterben scheint.

„Jedes moderne Smartphone bietet mehr Rechenleistung, als für die Mondlandung erforderlich war.“ Ein schöner Satz aus seiner Analyse, der die Richtung zeigt. Optik wird also durch Rechenleistung ersetzt.

Und Dr. Schuhmacher prognostiziert: „Ab 2020 werden wir vermehrt optische 5-10-fach-Zooms in Mobiltelefonen finden. Bis 2030 dürfte die Entwicklung sicherlich bei optischen 20-Fach-Zooms angelangt sein. Das entspricht etwa 20-400 mm äquivalenter hochwertiger optischer Brennweite. Den Ultra-Weitwinkel-Bereich und den Tele-Bereich bis 800 mm wird man 2030 mittels KI hochwertig erzeugen können.“

Den Rest macht KI.

Der Artikel ist wie ein großes intellektuelles Fest. Und zu jedem Bereich fallen mir selbst dann viele Gedanken ein, die seine Ausführungen ergänzen.

  • Wenn er beschreibt, daß die Hersteller sehr kleinteilig den Markt bearbeiten, weil die, die Foto-Equipment haben, gerne bei ihren eingeübten Modi bleiben, dann ist diese Herangehensweise der Hersteller aus meiner Sicht richtig. Man soll die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Dazu zeigt Canon gerade an einigen Concept Cameras, wie sie Smartphonebesitzer beim Smartphone abholen – wenn sie denn in Serie gehen.
  • Fujifilm hat es ebenso gemacht, indem sie das Fotografieren im ansprechend händischen Design technologisch und digital so „sexy“ machten wie in Filmzeiten
  • Dann hat er einen Blindtest verlinkt, der zeigt, wie sich bei vielen Menschen, die soziale Netzwerke und Smartphones nutzen, die Sehweise auf Fotos verändert hat. Während Unschärfeverläufe bei Fotos eigentlich als Qualitätsmerkmal gelten, halten die meisten heute Fotos für besser, die mehr Schärfe aufweisen statt Unschärfeverläufe.
  • Seine Prognosen über das Sterben von Fotobuchverlagen, Fotofachzeitschriften, Fotowettbewerben und Fotoforen als Folge veränderter fotografischer Gebrauchsweisen zeigt wie sich alles ändert. Es ist wie das Aussterben der Automobilzuliefererindustrie im großen Stil. Ändern kann man es nicht aber nach vorne schauen, weil es ja neue soziale Fragen aufwirft und die Menschen weiter über Fotos sprechen wollen und sie zeigen wollen.
  • Damit komme ich zum Kaufverhalten. In welchen Abständen kauft man eine Digitalkamera? In welchen Abständen kauft man ein Smartphone? Irgendwo stand alle vier Jahre ist eine Digitalkamera dran. Ich habe mein Iphone 7 plus 2017 gekauft und 2019 abbezahlt. Seitdem sind schon drei neue Generationen erschienen. So geht es anderen auch. Jedes Jahr ein neues Smartphone für 1000 Euro oder noch mehr – wer kann das bezahlen? Das ist ungefähr der Preis einer Canon 90D, die man nie nach einem Jahr austauschen würde.
    Aber es kommt auch auf den sozialen Stand an. Wer sich jährlich eine 10.000 Euro teure Sonderedition von Leica kauft, denkt anders, der kauft auch eher jedes Jahr ein 1500 Euro teures Smartphone, ist aber eher nicht die fotografische Mittelschicht. Zumindest sind jetzt die Null-Prozent-Finanzierungen für Digitalkameras ebenso möglich wie sie für Smartphones schon länger möglich sind.

Nun denn, dieser Artikel hier hätte das Potential zu einer unendlichen Fortsetzung, weil die Ausgangstexte von Dr. Schuhmacher voller informativer und inspirierender Gedanken sind. Daher ende ich an dieser Stelle und empfehle seine Artikel ausdrücklich weiter.

 

 

 

 

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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