Facing Britain zwischen Face und Fake

Wo ist Chris Killip?

Das war meine spontane Frage als ich die Ausstellung „Facing Britain“ als Buch vor mir liegen hatte.

Er wird zwar als Name in dem Vorwort erwähnt aber fehlt völlig im Buch.

Im Museum Goch wird die Ausstellung u.a. so beschrieben: „Facing Britain vereint erstmals nahezu alle wichtigen Vertreter*Innen der Britischen Dokumentarfotografie in einer großen Übersichts-Ausstellung außerhalb Großbritanniens.

Lange vergessene und erst in den letzten Jahren wiederentdeckte Positionen wie John Myers, Tish Murtha oder Peter Mitchell werden neben Arbeiten von Weltstars wie Martin Parr gezeigt. Die Schau  bietet so einen einzigartigen Einblick in die mit Kontinentaleuropa und Nordamerika verflochtenen, aber auch unabhängigen Entwicklungen auf dem Feld der Fotografie in England, Schottland, Irland und Wales. Das Dokumentarische erweist sich als eine der großen Stärken der britischen Fotografie, die einen Teil Europas im Wandel facettenreich, überraschend und künstlerisch originell abzubilden vermag. Als zeitliche Klammer für Facing Britain wurde daher bewusst die Zeitspanne der Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union und ihres Vorläufers 1963-2020 gewählt. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Corona-Pandemie, erweist sich die Ausstellung als Zäsur in der künstlerischen Entwicklung einer ganzen Nation.

Beschrieben werden die verschiedenen Epochen vom Niedergang der Kohleindustrie über die Thatcher-Ära mit dem Falkland-Konflikt bis hin zum Brexit, der die Insel in zwei Lager spaltet. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den von David Hurn, Tish Murtha, Daniel Meadows und Martin Parr geprägten 1970er und 1980er Jahren, als die künstlerische Dokumentarfotografie weltweit an Bedeutung gewinnt. Martin Parr beschreibt diese Jahrzehnte als „eine prägende Zeit für die britische Fotografie, in der die Stärke der Dokumentarbewegung wirklich lebendig wurde.“

In Großbritannien galt die Fotografie bis in die 1980er Jahre nicht als autonome Kunstform. Erst ab 1985 wurden Britische Fotografe*Innen in der Photographer‘s Gallery und Barbican Art Gallery in London oder dem British Council mit Ausstellungen gewürdigt.

Diese späte Ehrung der Pioniere der Britischen Dokumentarfotografie zeigte auch die Schwierigkeiten der Fotografie in Großbritannien. Insgesamt fällt es der Britischen Fotografie – abseits ihrer arrivierten Magnum-Fotografen wie David Hurn oder Martin Parr – schwer, sich auf dem internationalen Markt zu behaupten –, nicht zuletzt auch wegen der sozialkritischen oder politischen Inhalte und gesellschaftskritischen Ansätze, die etwa bei Ken Grant, Tish Murtha, Homer Sykes, Paul Reas oder Anna Fox unverkennbar sind.“

Das führt mich zu der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wo ist Chris Killip?

Ich finde sie in dem kleinen Buch von Gerry Badger in der Reihe Phaidon55 auf Seite 11: „Killip fasste seine Arbeiten im Nordosten Englands fast zwei Jahrzehnte nach ihrem Beginn und nach verschiedenen Ausstellungen von Einzelserien wie Skinningrove und Seacoal in zwei großen Ausstellungen und einem Buch zusammen, die wichtige Stationen der britischen Fotografie nach 1970 darstellten. Zunächst stellte er 1985 seine Bilder gemeinsam mit denen seines engen Freundes Graham Smith unter dem Titel Another Country in der Londoner Serpentine Gallery aus. Das Echo war äußerst positiv, aber kraftvolle und engagierte Werke rufen stets auch negative Reaktionen hervor, und die Postmoderne stand gerade in ihrer ersten Blüte. Arbeiten in einem scheinbar traditionellen Dokumentarstil erschienen als bewusst altmodisch, ihre bittere, authentische Ironie wurde von denen nicht wahrgenommen, die sich den „Ersatzironien“ der „einfachen“ Abbildungstheorie verschrieben hatten. Ein paar Kritiker verstanden gar nichts und beklagten sich über ein stereotypes Bild des Nordens.“

Ich habe versucht mit dem Titelbild dieses Artikels deutlich zu machen, was das heißt.

Es zeigt das Buch Facing Britain mit dem Foto von Daniel Meadows, welches zwei Männerporträts ziert. Das Foto an sich ist kontextlos. Und darauf habe ich das Buch über Chris Killip gelegt, welches ein Foto mit zwei Jungs zeigt und ihrem Umfeld und diese Bücher zusammen fotografiert. Der Gegensatz von sozialdokumentarischer und kontextloser Fotografie wird dadurch sehr klar. Auf beiden Fotos sind zwei Personen porträtiert aber nur das Foto von Chris Killip erzählt eine Geschichte.

Ich zitiere noch mal aus dem Text zur Ausstellung: „Insgesamt fällt es der Britischen Fotografie – abseits ihrer arrivierten Magnum-Fotografen wie David Hurn oder Martin Parr – schwer, sich auf dem internationalen Markt zu behaupten –, nicht zuletzt auch wegen der sozialkritischen oder politischen Inhalte und gesellschaftskritischen Ansätze,…“

Die Postmoderne ist wohl zurück, wenn ich es nüchtern schreiben soll.

Da es sich aber um eine Ausstellung über Britische Dokumentarfotografie seit 1960 handelt, ist sie unvollständig, weil (mindestens) eine wesentliche Person mit ihren britischen dokumentarischen Themen nicht gezeigt wird: Chris Killip.

Ich bin auf Christina Schlegl gestossen, die sich diese Ausstellung angeschaut hat. Sie schreibt: „Wir sind am Ende der Ausstellungsführung angelangt. Am Anfang des Rundgangs stand die Aussage, dass das Besondere, ja das Einmalige an der Schau sei, dass es noch nie eine solch geschlossene und vollständige Darstellung der sozialen und politischen Veränderungen eines Landes im Zeitraum von siebzig Jahren gegeben hätte. Ich habe es nicht ganz so wahrgenommen,…“

Zumindest in diesem Text hier erhält er die Erwähnung, die in der Ausstellung fehlt.

Aber es spiegelt sich auch bei Facing Britain wieder, was ich immer wieder beobachte.

Wer sich mit sozialdokumentarischer Fotografie beschäftigt, erhält kein Lob sondern Ausgrenzung. Die Fotografierten sehen oft ihre Schmerzen in den Fotos und die Verursacher wollen nicht dran erinnert werden.

Soziale Wunden zu zeigen macht selten Freunde!

Und da die Museumsqualität und Ausstellungsqualität von den Mächtigen bestimmt werden ….

Der oben erwähnte Graham Smith zeigt dies ebenfalls durch seine Biographie:

„The inevitability of working for life in the iron and steelworks troubled him and disillusioned with photography, Smith stopped making photographs in 1990, when he became a professional frame maker.“ (google: Die Unvermeidlichkeit, ein Leben lang in den Eisen- und Stahlwerken zu arbeiten, beunruhigte ihn und desillusioniert von der Fotografie hörte Smith 1990 auf, Fotografien zu machen, als er professioneller Rahmenhersteller wurde.)

Graham Smith hat beendruckende, starke, erzählende Fotos gemacht, wie eine kurze Suche zeigt.

Sie sind erstklassige britische sozialdokumentarische Fotografie eines Betroffenen und guten Fotografen – aber sie werden auch in dieser Ausstellung nicht gezeigt.

Daher steht Chris Killip für mehr, den Rest überlasse ich ihnen.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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