Candid ist das neue Street – Strassenfotografie heute klassisch und smart

Candid public photography – offene (unvoreingenommene, ungestellte) öffentliche (im öffentlichen Raum) aufgenommene Fotografie ist ein neuer Versuch, der Inflation unter dem Begriff street photography Herr zu werden.

Candid public photography hat Nick Turpin so definiert und aufgeschrieben:

„Und so ist die Straßenfotografie erwachsen geworden, sie wurde in den 1920er Jahren in Paris geboren, sie wuchs und reifte in den 1960er und 70er Jahren in New York und wurde ab 2000 zu einer globalen Praxis. Es gab eine Zeit, in der niemand die Richtigkeit eines Straßenfotos in Frage stellte, aber wir befinden uns jetzt in einer weniger naiven Zeit, in der Künstler wie Jeff Wall Straßenszenen mit Modellen nachgebildet haben oder Peter Funch Dutzende von Straßenbildern zu einem einzigen Bild zusammengesetzt hat oder Dougie Wallace anweist sein Thema ‚Kiss The Dog‘.

Jetzt wissen wir nicht wirklich, was wir sehen, es sei denn, der Fotograf ist sich über seine Vorgehensweise und seine Absichten im Klaren.

Dies führt mich zum Grund für diese Seite und zu meinem Vorschlag, dass diejenigen, die sich dafür interessieren, einen genauer beschreibenden Ausdruck für ihre beobachtete Arbeit verwenden: Candid Public Photography, um ihre Absichten als Fotografen unmissverständlich zu erklären und den Rest von uns genau zu informieren was wir sehen. Mehrdeutigkeit ist etwas für Künstler, nicht für Dokumentarfotografen.“

So schreibt es Nick Turpin auf seiner Webseite (übersetzt durch google):

„Es scheint mir, dass Street Photography als Ausdruck uns jetzt etwas im Stich lässt, dass er die Schlüsselaspekte unserer Praxis nicht identifiziert, nämlich dass die Arbeit ohne Intervention gedreht wird, sie an einem öffentlichen Ort (nicht unbedingt der Straße) gemacht wird ) und es ist ein Fotograph, gezeichnet mit Licht und nicht nachträglich mit einem Computer.

Wenn Sie Fotografie studiert haben, werden Sie sich der Ansicht bewusst sein, dass die Fotografie ein neues Objekt ist, mehrdeutig und losgelöst von der Szene, die es darstellt, sowie durch die einzigartige Interpretation gefiltert wird, die der Betrachter dazu bringt. Einige leugnen, dass ein Foto jemals ein Dokument sein kann.

Ich akzeptiere die Grenzen des Fotos als Dokument, aber ich erkenne auch die populäre Rolle an, die Fotos bei der Darstellung der Welt und der Erinnerung spielen. Es besteht eine allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz, dass ein Foto eine starke Beziehung zu der Szene oder dem Ereignis hat, das es darstellt. Selbst in der heutigen Post-Photoshop-, Instagram-gefilterten Welt gibt es immer noch die Tendenz, zunächst darauf zu vertrauen, dass ein Foto eine starke Beziehung zu einer realen Szene oder einem Ereignis hat. In der Tat sind unsere Museen voll von historischen Fotografien, Kriegen, Unruhen, Stadtansichten, Flüchtlingen, Sportereignissen und in der Tat offenen öffentlichen Straßenszenen. Das Foto hat als Dokument einen festen Platz im menschlichen Leben.

Aus diesem Grund ist es wirklich wichtig, wie ein Straßenfoto gemacht wurde, sein historischer, soziologischer und politischer Wert hängt davon ab, dass es eher eine beobachtete als eine gerichtete Szene ist.
Sein Wert als Dokument unserer Zeit wird reduziert, wenn es inszeniert, zusammengesetzt oder manipuliert wird. Straßenfotografien wie Presse- oder fotojournalistische Fotografien sind in dieser Hinsicht besonders, weil erwartet wird, dass sie die Wahrheit sagen, soweit der Fotograf dies mit dem Medium erreichen konnte.“

Damit sind wir sehr schön problematisiert in der Welt derer angekommen, die die Unterschiedlichkeit der Welt noch in unterschiedliche Wörter kleiden wollen.

Daraus ergeben sich weitere Fragen.

Wieviel Technik darf es sein, ist für mich dabei eine wichtige Frage?

Denn einige Apps im Iphone oder in Androidhandys machen vieles, was man mit einer normalen Kamera so nicht konnte und kann.

Dann ist die Situation zwar ungestellt aber das Foto sehr algorhytmisiert, um es mal so zu sagen.

Das wäre für mich smarte Streetfotografie, also das Aufnehmen einer ungestellten Situation und die Gestaltung mit und durch die jeweilige App.

Klassische Strassenfotografie macht das alles nicht.

Daher würde ich gerne das Wort Street photography weiter nutzen für ungestellte Fotos aber dann die Art der Gestaltung des Fotos mit beschreiben – streetclassic und streetsmart oder classic streetlens und smart streetlens.

Das wäre alles ungestellt also unposed.

Elliott Erwitt hat mal sinngemäß gesagt, die Situation muß einen beissen – dann ist es echte Streetfotografie.

Der Bereich der gestellten Situationen ist dann schon schwammig.

Wenn ich vor einem Plakat warte bis einer da so vorbeiläuft wie ich ihn gerne hätte, ist das schon Posing oder eher nicht, weil dies alles vorgefunden ist und die Zeit den Zufall kombiniert, den ich dann festhalte?

Zumindest haben sehr viele klassische Street-Fotografen so gearbeitet, um den Zufall auf einer „Bühne“ einzufangen.

Oder wenn ich jemand aufnehme, wenn gerade der Hund auf dem Arm seinen Kopf vor dem Menschenkopf hat, ist das der Biss?

Ist das schon gestellt oder fängt dies erst hinterher an, wenn ich direkt eingreife in eine Aufnahmesituation?

Wo beginnt und endet der entscheidende Moment?

Ist das überhaupt noch in, erwünscht, modern?

Fragen über Fragen, die jeder anders beantwortet.

Aber zumindest weiß man, worauf man achten kann – denn das Bild entsteht zuerst im Kopf.

Es ist ein weites Feld und das wird immer wieder neu bestellt.

Aber man kann ja die Probe aufs Exempel machen.

Denn von in-public gibt es eine moderierte Gruppe auf flickr.

Ich persönlich finde dort einige Fotos, die mir gefallen und viele, die ich für völlig nichtssagend halte. Es mag candid im Sinne von ungestellt sein, aber da sind doch sehr viele drin, die ich nicht reingetan hätte, weil sie ja gar nichts aussagen und nicht beißen.

Ich verlinke hier mal auf einige, die ich gut finde:

Love in the shadows, On the same wave, sadowski, spiros, simone mantia, leao und elmo tide.

Das wäre bei mir also höchstens jedes dritte Foto aus der Gruppe, das candid und bissig wäre. Alle Fotos dazwischen erfüllen meine Ansprüche nicht. Aber sie erfüllen die Ansprüche von Nick Turpin.

Insofern mag candid das neue street sein aber mein candid ist nicht immer sein candid.

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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