The American Social Landscape. Dokumentarfotografie im Wandel des 20. Jahrhunderts von Gisela Parak

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„In der vorliegenden Arbeit wird die Dokumentarfotografie nicht als Genre oder Stilrichtung verstanden, sondern als Diskurs über Gesellschaft und Lebensmöglichkeiten, der mit den Mitteln der Fotografie geführt wird. Von der Annahme einer schlichten Abbildung grenzt sich das zugrundeliegende Medienverständnis ab und es wird immer wieder zu klären sein wie Realität dargestellt, konstruiert und produziert wird.“

Diese Worte aus der Einleitung des Buches machen neugierig auf die Darstellung der Dokumentarfotografie im 20. Jahrhundert.

Allerdings muss man sich erst einmal durch einige andere Seiten lesen. Die Autorin arbeitet dort mit Begriffen wie „Konnotation des Dokumentarischen“, sie spricht von einer „Ontologie digitaler Bilder“ und kommt zu dem Schluß, dass sich „drei maßgebliche Erklärungsansätze fotografischer Bildtheorie aus der Geschichte synthetisieren“ lassen, ein autoreferentieller, ein indexikalischer und ein diskurskritischer Ansatz.

In ihrem Buch will sie nach einer Darstellung von Atget, Riis, Hine, Lange, Evans, Frank, Firedlaender, Winogrand, Arbus, Adams, Baltz, Sekula und Rosler dann eine „Neuverortung der fotodokumentarischen Methode vornehmen“.

Die Beispiele dafür sind die Fotografen Allan Sekula, Joel Sternfeld und David Goldblatt. Sie will damit eine „dekonstruktive Methode des Dokumentarischen vorstellen, die sich den gesellschaftlichen Wirklichkeiten in einer konzeptuellen Verwendungsweise des Mediums annähert.“

Dabei geht sie eigentlich so vor wie jeder gute Historiker, wenn sie schreibt: „Von der Annahme einer schlichten Abbildung grenzt sich das zugrundeliegende Medienverständnis ab und es wird immer wieder zu klären sein, wie Realität dargestellt, konstruiert und produziert wird.“

Man verzeihe mir diese vielen Zitate zu Beginn, aber diese riesigen Begriffe kann man nicht noch mal in eigene Worte packen ohne sofort in Erklärungsnot zu kommen.

Es sind dann auch später Sätze wie „Die Dokumentarfotografie der 60er/70er Jahre beinhaltet somit das metareflexive Eingeständnis einer epistemologischen Aporie, das in den Bildreihen stilistischen Ausdruck fand“, die diesem Buch seinen Charakter geben. Da das Buch als Promotion im Fach Kunstgeschichte angenommen wurde, ist diese Wortwahl vielleicht auch die Erfüllung einer Erwartungshaltung Dritter – wer weiß.

Auf Seite 92 kommt die Autorin dann zur „Neuverortung der dokumentarischen Methode“ und sie schreibt über Allen Sekula: „Die von Sekula verwandte dokumentarische Methode ist die der Dekonstruktion, als Bild/Text zergliedert der Fotoband die Konstitution der sozialen Landschaft  in nachvollziehbare Einzelteile. Dabei … richtet sich Sekulas Konzeption der Dokumentarfotografie explizit gegen John Szarkowskis formalisierte Bildbetrachtung und gegen die Annahme einer bildimmanent zu entschlüsselnden Bedeutung.“

Sie schildert dann an der Tätigkeit einiger Fotografen, wie dies im Einzelfal aussieht. Ihre Bildbesprechungen sind in meinen Augen eines der Wesensmerkmale dieses Buches.

Es zeigt sich auch hier ein grundlegendes Problem der Fotografie. Sie ist so multidimensional, dass jeder aus seiner Ecke mit jeder Art von Theorie sie benutzen kann. Es fehlt eben ein „klareres Vokabular (Runge)“.

Es scheint echt so, dass bald jeder seine eigene Theorie ist und damit aus einem einfachen Foto oder einer Reihe von Fotos Dinge werden, die den Orbit verlassen und unverstanden um uns herum kreisen.

Das Buch hat den Vorteil, uns durch viele dieser zumindest mir vorher völlig unbekannten Theorien und Gedanken zu führen, deren Nutzen sich mir nicht erschließt und die ohne weitere praktische Relevanz für das Leben, die Wissenschaft (?) und die Fotografie zu sein scheinen.

Für diesen gedanklichen Weg durch dieses Dickicht muß man der Autorin dankbar sein. Zumal sie dadurch auch die Problematik von Wissenschaften aufzeigt, die sich immer mehr zersplittern, die immer mehr -ismen bilden, die an jeder Ecke neue Begriffe kreieren, die vielleicht sogar irgendwann so viele Theorien und Wörter haben wie die Fotografien, die sie beschreiben wollen.

Wie schreibt der Verlag? „Aufgezeigt wird der Wandel vom Glauben an die bildliche Evidenz bis hin zu den dekonstruktiven Herangehensweisen der Gegenwart.“

Mir hat es Spaß gemacht, das Buch zu lesen und wer Lust auf eine solche gedankliche Auseinandersetzung hat wie ich sie hier geschildert habe, der findet in dem Buch genau das, was er/sie sucht.

Es ist im WVT-Verlag erschienen.

Gisela Parak:

The American Social Landscape:

Dokumentarfotografie im Wandel des 20. Jahrhunderts

ISBN 978-3-86821-123-8

 

 

 

 

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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