Henri Cartier-Bresson. Der Schnappschuss und sein Meister von Clément Chéroux


Alles fing mit Kodak an. Mit 13, 14 Jahren erhielt Henri Cartier-Bresson eine Brownie-Box von Kodak und entdeckte sein Interesse an der Fotografie.

Cartier-Bresson wuchs in einem vornehmen Viertel von Paris auf. Seine Familie hatte es mit Fabriken für Garne zu Wohlstand gebracht und Henri Cartier-Bresson konnte an allen Vorteilen einer solchen Situation teilhaben.

Ab 1926 besuchte Cartier-Bresson, der mehrmals beim Abitur durchgefallen war, die Akademie für Malerei von André Lhote.

Alles dies und noch viel mehr erfahren wir in dem wunderbar gestalteten und informationsreichen Buch „Henri Cartier-Bresson. Der Schnappschuss und sein Meister“ von Clément Chéroux. Offenbar war Cartier-Bresson ein Netzwerker, wie wir heute sagen würden.

Wahrscheinlich hatte er durch seine Familie schon Zugang und geöffnete Türen, die anderen nicht aufgemacht worden wären.

Chéroux schreibt, dass Cartier-Bresson Harry und Caresse Crosby kennenlernte. „Die Elite der künstlerischen und literarischen Avantgarde verkehrt in der Moulin du Soleil, dem Haus der Crosbys…. Dort trifft Cartier-Bresson Crevel und Breton wieder, begegnet Salvador Dali und Max Ernst. Dort lernt er auch Julien Levy kennen…“

1930 reist Cartier-Bresson dann nach Afrika. „Nach einem Monat erreicht er die Elfenbeinküste, wo er fast ein Jahr bleibt und verschiedenen Tätigkeiten nachgeht. Er ist Holzhändler und Plantagenbesitzer, bis er einen österreichischen Jäger trifft, der ihm beibringt, nachts mit einer Karbidlampe zu jagen, um die Beute anzulocken.“

Dann wurde er krank und kehrte nach Europa zurück.

Wie wurde er denn nun Fotograf?

Chéroux schreibt dazu: „Es ist heute schwierig, zwischen belegten Fakten und einer persönlichen Mythologie zu unterscheiden, die im Nachhinein durch eine logische Folge von auslösenden Ereignissen rekonstruiert wurde.“

Und so reiste er und fotografierte, erst in Europa und später in Südamerika.

Und schon 1933, ein Jahr nach seinem Entschluß, Fotograf zu werden, stellt er in der Galerie von Julien Levy in New York aus.

Man kann sich beim Lesen der Seiten dieses Buches und der Kontakte und Bekanntschaften, die Cartier-Bresson in den „feinen“ Kreisen machte, nicht des Eindrucks erwehren, dass hier viele helfende Hände im Netzwerk einflussreicher Beziehungen eine Rolle gespielt haben, denn allein mit den produzierten Fotos ist dies nicht erklärbar.

So lernt man umgekehrt wie Können und Kontakte (neudeutsch Networking) Wege zum Erfolg ermöglichen und die richtigen Verhältnisse dabei sehr hilfreich sein können.

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs erfolgt 1947 eine Ausstellung im MOMA und er wird sich ab diesem Zeitpunkt ganz dem Reisen, dem Fotografieren und dem Vermarkten widmen. Dazu wird die Fotoagentur Magnum gegründet.

Cartier-Bresson fotografiert bekannte Schriftsteller und Künstler, trifft Politiker wie Gandhi und kann durch Türen gehen, die andere nicht einmal erreichen würden.

So wird er berühmt und eine Legende. Mir gefallen viele seiner Fotos und vor allem gefällt mir das Buch von Clément Chéroux aus dem Schirmer-Mosel Verlag.

Das Buch ist für mich das am besten gestaltete Buch über Cartier-Bresson, welches ich kenne.

Und das Buch hat mir zu der Erkenntnis verholfen, dass das Fotografieren alleine nicht reicht. Um davon leben zu können, ist das Networking und die Hilfe reicher und einflussreicher Menschen viel wichtiger.

Cartier-Bresson hat bei Andre Lhote Malen gelernt. Die Geometrie war dabei das, was für ihn am wichtigsten war.

Mit dem Satz „Am Anfang war die Geometrie“ setzte er dann seinen Weg in die fotografische Welt fort. Und der geometrische Aufbau, die visuelle Grammatik, wurde dann auch wesentliches Merkmal seiner Fotos. Diese waren am besten, wenn Form und Inhalt stimmten.

Seine Schnappschüsse stellten sich später als erarbeitete und geplante Auswahl heraus – was sie nicht mindert – oder wie Gisele Freund einmal erzählte: “Wissen Sie, ich habe doch damals, in den Dreißigern, meine erste große Reportage gemacht, für LIFE, über das Elend der arbeitslosen Bergarbeiter in Nordengland. Und der Bildredakteur, der war ganz erstaunt, daß ich von jedem Motiv nur ein Photo gemacht hatte, nur eines oder höchstens zwei. Aber das saß dann. Später, bei Magnum, hat man mir die Kontaktbögen von Cartier gezeigt, und da hatte er einen ganzen Film… und eines war dann bestimmt darunter, das er den entscheidenden Moment nannte. Auf diese Idee bin ich nie gekommen, schon weil Film so teuer war für mich.”

Und so bleibt die Erkenntnis, dass man schon planen und viel fotografieren muß, um Momente zu bekommen, die später wie Zufall aussehen können. Aber Planung reicht auch nicht, das Können liegt dann in der Anwendung der Geometrie und in der Umsetzung durch die Person mit ihren Möglichkeiten.

Ich bin ein Fan vieler Fotos von Cartier-Bresson und seiner Art zu fotografieren. Und deshalb mag ich das Buch besonders, weil es zeigt, „Meisterhaftigkeit“ in der Fotografie (wie auch immer definiert) und Erfolg sind zwei verschiedene Dinge. Cartier-Bresson hatte – je nach Definition – beides, daher wurde er bekannt und prominent. Die meisten anderen heute haben nur eines davon.

Ein großartiges Buch, aus dem man viel lernen kann.

Clément Chéroux
Henri Cartier-Bresson. Der Schnappschuss und sein Meister
ISBN-13: 9783829603775

 

About Michael Mahlke

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung. Oft war ich einer der wenigen, der das Sterben der Betriebe und das Sterben der Hoffnung der Menschen sah. Ich wollte nicht nur helfen sondern auch festhalten für die Nachwelt. Denn die Worte zeigten keine Gesichter und die Geschichten erzählten keine Momente, so wie ich es erlebt hatte. Wenn ich das alles damals schon nicht aufhalten konnte, dann wollte ich es wenigstens festhalten. So kam ich zum Fotografieren. Mehr hier - http://dokumentarfotografie.de/2022/09/17/der-fotomonat-und-seine-zeiten/

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